Jessica Teusl spielt Poker. Mit Erfolg und um richtiges Geld. In den Casinos kennt man sie, wie man mich einst kannte. Und an den Spieltischen der Stadt bekommt sie den Respekt, den ich einst bekam. Jessica Teusl hat all das, was ich einst hatte. In meinem an Demütigungen reichen Leben gehört das heute zu den wahrhaft dunklen Stunden meiner journalistischen Karriere. Und noch viel dunkler wird es aus meiner Position des alten, weißen Mannes.

Als ich jung war und mir die großen Scheine nur so in die Taschen stopfen durfte, gab es auch schon Frauen am Pokertisch. Aber die kamen nur mal kurz vorbei, um Getränke zu bringen, oder um Aschenbecher auszuleeren. Manchmal pfiff ich ihnen dann hinterher. Damals durfte man das noch, und es wurde sogar irgendwie erwartet nach meinem Gefühl, aber was wusste ich damals schon von der Welt, und was weiß ich heute immer noch nicht.

Jessica Teusl hat Geld und einen Vertrag mit win2day. Was Längerfristiges, hat man mir gesagt. Man kann sie aber auch abseits vom Onlinegeschäft buchen, für Turniere und Turnierserien. Den Namen habe ich schon oft gelesen, getroffen haben wir uns noch nie. Ich sitze im Casino Austria und warte. Am Weltfrauentag auf eine Pokerspielerin zu warten, um sie für ein Frauenwirtschaftsmagazin zu porträtieren. Das Schicksal kann manchmal brutal sein. Der Saalchef im dunklen Einheitsanzug der Casinos Austria fragt mich, ob ich einen Platz am Spieltisch haben möchte.

Dafür bräuchte ich mindestens 500, besser 1.500 Euro, um munitioniert zu sein für die Schlacht am Pokertisch. Dreißig Euro habe ich dabei in kleinen Scheinen und eine fragwürdige Bankomatkarte, deren Benutzung mich aus gutem Grund ängstigen müsste. Ich lehne ab und warte weiter. Hatte ich schon erwähnt, dass ich sehr ungerne auf Frauen warte? Auf schöne genau so wenig gerne, wie auf weniger schöne. Da bin ich ziemlicher Feminist glaube ich, ohne jetzt der große Experte für Feminismus zu sein.

Jessica Teusl © Götz Schrage

Ich sehe den Herrn Otto an der Bar. Man kenntsich, und der Herr Otto weiß auch immer alles, was man im Casino wissen muss. Wer reich ist, wer aus dem letzten Loch pfeift, wer was kann und wer nur temporäres Glück hat, bevor die Gerechtigkeit der großen Zahlen alles zermalmt, was an kurzfristigem Reichtum da war. Herr Otto weiß das alles, weil er immer so wach ist, wenn er ins Casino kommt. Um 14.30 Uhr geht er ins Bett, und um 21.00 Uhr steht er auf. Jeden Tag seit immer und seit zwanzig Jahren. Mindestens. Jessica hat mir eine SMS geschickt. Sie sucht einen Parkplatz. Als ich jung war, hat man noch Respekt gehabt vor denen mit den weißen Haaren und ist pünktlich gekommen, und wenn man den Wagen am Gehsteig parken musste. Ich werde jetzt den Herrn Otto interviewen. Dem Herrn Otto kann man vertrauen. Der weiß, was Sache ist.

»Die Jessica Teusl ist eine imposante Frau!«, sagt er. Und dann sagt er noch: „Den ersten Europameistertitel hat sie mit Glück gewonnen. Doch dann hat sie sich intensiv mit der Materie beschäftigt. Hat sich alles Wissen über Turnierpoker reingezogen. Die Spielmathematik verinnerlicht und sogar in einen wirklich guten Coach investiert. Der zweite Europameistertitel war dann schon verdient. Und letztes Jahr beim dritten Titel hat sie fantastisch gespielt. Wirklich eine imposante Frau«, sagt der Herr Otto noch, und dann sagt er nichts mehr, weil er nicht viel redet, wenn er nichts Weiteres zu sagen hat.

Jessica Teusl kommt nicht, sie erscheint. Das Casino ist ihr Lebensraum. Quasi ubiquitär. Wo die Jetons klappern, ist ihr Zuhause. Das merkt man gleich. Der Saalchef grüßt freundlich. Sie nimmt den letzten freien Platz direkt neben dem Croupier, packt ihre doppelt große Geldbörse aus ihrer riesengroßen Handtasche, zupft die erforderlichen Scheine heraus, um ihr Handwerk zu beginnen. Die anderen Spieler bunt gemischt, wie ein altes Benetton-Plakat, nur weniger attraktiv. Ein älterer Araber, zwei mittelalte Perser, ein gefährlich dreinblickender Türke, ein besserwisserischer Deutscher, ein Serbe und zwei Österreicher. Manche kennen mich von früher. Nur saß ich damals am Spieltisch und nicht hinter einer Spielerin. Unwillkürlich muss ich an die Frau von dem Sägewerkbesitzer denken. Die kam immer mit ins Casino und saß stundenlang hinter ihrem Mann, um ihm den Zucker in den Kaffee zu rühren und hie und da einen selbstmitgebrachten Apfel zu schälen und ihn mundgerecht zu stückeln. Wenn Jessica jetzt aus ihrer riesigen Handtasche einen Apfel holt, stürze ich mich ins Obstmesser. Oder ich gehe und verzichte auf Ruhm und Honorar. Der Kellner kommt, den man im Casino wohl immer noch »Chasseur« nennen darf. Ich nenne ihn jedenfalls so. Jessica bestellt zwei Getränke und bezahlt sie auch, bevor ich einschreiten kann. Danke! Vielen Dank auch! Auf meinem Grabstein hätte stehen sollen: »Immerhin keine Frau hat jemals seine Drinks bezahlt!«. Das hat sie mir jetzt kaputt gemacht. Ich kenne die Frau, hinter der ich gezwungenermaßen sitze, kaum, aber ich weiß, ich kann sie nicht leiden. Absolut nicht!

Die Schlacht wogt hin und her. Zweimal muss sie nachfassen. Zu meiner Beruhigung genug Scheine in der Börse, aber keine Äpfel in der Tasche. Gerade hat sie einen großen Pot gewonnen. Es braucht einige Zeit, die vielen Jetons nach Wertigkeiten zu schlichten. Trinkgeld hat sie auch gegeben. Nicht ungroßzügig. Besonders für eine Frau. Wobei, ich muss mit diesem Frauenbezug aufhören, sonst wird das nichts mit meiner späten Karriere als Frauenwirtschaftsmagazin- Mitarbeiter. In den Spielpausen erklärt mir Jessica ihr Geschäftsmodell. Es fallen Begriffe wie »Influencer«, »Instagram«, »Zielgruppe«, »pokeraffin« und Ähnliches. Ich tue so, als ob ich das alles verstehen würde. Letztlich spielt sie Poker und schreibt darüber auf ihren Seiten, und dann denken sich die anderen Spieler, wenn die Jessica da spielt, dann komme ich auch dorthin. Klingt logisch, und dass das bezahlt wird und sie sich das bezahlen lässt, verstehe ich auch sehr gut. Damit sie ernst genommen wird, muss sie liefern. Also Resultate bei Turnieren. Wer wo wieviel Geld gewinnt – oder nicht gewinnt beim Cashgame – bleibt diskret und geheimnisvoll.

Turnierpoker ist transparent, und beim Turnierpoker ist Jessica wirklich erfolgreich. Dieses Jahr ist Las Vegas geplant, und dann wird sie auch wieder Anteile wie ein Makler verkaufen. Das imponiert mir wirklich. Wenn die Teilnahme an einem Turnier zum Beispiel 10.000 US-Dollar kostet verkauft sie fünfmal 1.000 US-Dollar zum Preis von 1.400 US-Dollar, weil ihre Investoren annehmen, dass sie der Favorit ist, um Geld zu gewinnen. Sie muss dann in diesem Beispiel nur 3.000 US-Dollar von ihrem eigenen Geld investieren, um 50 Prozent am etwaigen Gewinn zu halten. Ein imposantes Mädchen (wenn man »imposantes Mädchen« schreiben darf). Sie bestellt einen zweiten Drink für mich. Ich fange an, mich daran zu gewöhnen. Wir dürfen im Casino fotografieren. Jessica will das. Jessica darf das. Ich sage ihr, wie sie das Kinn halten soll. Ich sage ihr, dass sie die Beine von rechts nach links überschlagen soll. Wirklich hübsche Beine. Und dann ändere ich das auf ein von links nach rechts. Einfach so. Praktisch zu Fleiß. Ich sage ihr, sie soll den Mund leicht schließen und dann wieder öffnen. Ich bin der Bestimmer. Ich sage, wo es lang geht. Wunderbar. Sie macht, was ich sage. Es fühlt sich ein wenig an wie ein Sieg. Wir verabschieden uns bei der Bar. Ich nicke dem gefährlichen Türken zur Sicherheit zu und dem Herrn Otto, weil ich ihn mag. Jessica verabschiedet sich. Beinahe hätte ich ihr nachgepfiffen, aber wirklich nur beinahe.

Alle Fotos © Götz Schrage