»Wie Digitalisierung Frauen abhängt« lautet der Titel eines sehr aufschlussreichen Der Standard-Artikels von Karin Bauer, der am 23. Oktober online publiziert wurde. Etwas mehr als ein Jahr später leben wir in einer Zeit, die, bedingt durch die Auswirkungen der Coronakrise, gerne als Aufholjagd in Sachen Digitalisierung beschrieben wird. Die Krise sei ein wahrer »Digitalisierungsmotor« gewesen. Auch wenn derartiger Bilderreichtum gerade jetzt manchmal etwas deplatziert wirkt, ist es tatsächlich so, dass viele Unternehmen plötzlich enormen Druck verspürten ihre Abläufe und Verkaufsmodelle zu digitalisieren. Gleichzeitig verfestigten sich durch Homeschooling und Betreuungspflichten traditionelle Rollenbilder wieder stärker und Themen rund um Gender Equality und die Schließung des Gender Pay Gaps wurden plötzlich wieder ganz hinten angereiht.

Die Digitalisierung, oft als »Gleichstellungsmaschine« (wieder so ein Bild) gefeiert, scheint auf dieser Ebene ihre Karten also nicht ausspielen zu können. Zumindest wirkt es im Moment nicht so, als ob durch die Digitalisierung von Arbeitsabläufen strukturelle Benachteiligungen minimiert oder ganz aus der Welt geschafft werden könnten. Nicole Prieller leitet den Bereich Digital Consulting bei PwC Austria und erklärt, dass die Rollen- und Denkmuster der Vergangenheit in die Digitalisierung ebenso geflossen sind wie in alle anderen gesellschaftlichen Bereiche. »Was man Frauen zutraut, was sie sich selbst zutrauen, wer in der Öffentlichkeit zu welchen Themen spricht, wie sehr Frauen angefeindet werden, wenn sie Fehler machen… all diese Dinge sind altbekannt und so auch in der Digitalisierung zu bemerken. Junge Frauen berichten von schweren verbalen Übergriffen, wenn sie sich etwa in die Gamingszene mischen – manche junge Burschen benehmen sich dort wie Patriarchen aus dem 19. Jahrhundert. Man sieht also, dass die IT ebenso von gesellschaftlichen Erzählungen erfasst wird wie auch jeder andere Bereich. Hier wie da braucht es gesellschaftliches Umdenken und generell mehr Frauen, die etwas bewegen wollen und können, um Veränderung zu bewirken«, so Prieller.

Dass es sich bei IT-Branchen nach wie vor um männerdominierte Berufsfelder handelt, bestätigt sie, weist aber auch darauf hin, dass »wenn man aber darüber hinaus geht und über die Chancen spricht, die die Digitalisierung als historische Umwälzung bringt, sicher die Möglichkeit besteht, Chancengleichheit zu fördern. Man sollte nur nicht den Fehler begehen, zu denken, dass das von alleine passieren würde. In beiden Ebenen: in der IT und der Digitalisierung generell muss man über Zugangshürden nachdenken und versuchen, diese zu beseitigen«. Für die Digitalisierungs-Expertin gibt es keinen Grund, warum Frauen zurückstecken und es sich nicht zutrauen sollten, auch einen Beitrag leisten zu können. Das Gegenteil sei der Fall: »je mehr unterschiedliche Sichtweisen zur Digitalisierung existieren umso mehr kann sie zur Chancengleichheit beitragen.« Als kontraproduktiv erweisen sich auch Zuschreibungen, die Frauen eher mit sogenannten »Soft Skills« und Männer mit »Hard Skills« in Verbindung bringen. Da diese Zuschreibungen immer noch sehr verbreitet sind und die IT zusätzlich immer noch gerne im Licht der sogenannten »Hard Skills« gesehen wird, könnten auch daraus Hemmschwellen entstehen.

Dass es sich dabei aber insgesamt um einen Trugschluss handelt, ist für Nicole Prieller aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung ganz klar: »Die meisten IT-Projekte erreichen ihr Potential erst mal gar nicht, weil sie rein technisch durchdacht sind und nicht darauf Rücksicht nehmen, was eine technische Lösung beim Menschen voraussetzt. Ich würde sagen, dass der ›Hard Skill‹-Ansatz ganz klar gescheitert ist. Wir sehen das auch in Österreich, wo wir der Digitalisierung seit 20 Jahren hinterher laufen. Das sollte man in diesem Zusammenhang ganz klar sagen: ohne Soft Skills funktioniert die Digitalisierung nicht. Aber dennoch fände ich es zu kurz gegriffen, wenn wir schon wieder in das alte Muster ›hard skills: Männer und soft skills: Frauen‹ verfallen. Es sollte sich jeder dort engagieren, wo es ihm oder ihr gefällt und das sollte auch ohne Hürden möglich sein.«

Header: Nicole Prieller