Die Nerdkultur ist nach wie vor männlich geprägt. »Der Nerd ist ein halbautistischer semigenialer Typ, der zu Hause im Keller der Eltern sitzt und russische Webseiten hackt. Dieses in den Köpfen verhaftete Klischee schadet der Tech-Szene und unserem Berufsstand. Ich höre immer wieder von Leuten, dass das Programmieren ist nichts für sie ist, weil sie diesem Bild nicht entsprechen und nicht den ganzen Tag vor dem Computer sitzen«, sagt Barbara Ondrisek eingangs. Gemeinsam mit Co-Gründerin Eva Lettner will sie dieses Bild aufbrechen und der Damenwelt zeigen wie abwechslungsreich ein Job als Programmiererin sein kann.

SHEconomy: Wann ist bei euch das Interesse an der IT erwacht?

Barbara Ondrisek (BO): Ich hatte schon sehr früh Kontakt mit dem Programmieren, weil mein Vater Techniker ist. Wir hatten auch in den 80er Jahren schon einen Commodore zu Hause und mein Vater hat auch gerne in neue Technik investiert, was damals sehr teurer war. So bin ich damit aufgewachsen und es ist für mich das Natürlichste auf der Welt gewesen zum Beispiel in der AHS als Wahlpflichtfach Informatik zu wählen. Wenn ich damals nicht die Deadline für die Anmeldung verpasst hätte, wäre ich wahrscheinlich sogar in der HTL gewesen.

Eva Lettner (EL): Bei mir ist es eher traditionell abgelaufen. Mein großer Bruder hat Mitte der 90er Jahre einen Computer geschenkt bekommen – als Burschen Spielzeug, aber ich durfte ihn mitbenutzen. Er hat dann auch Programmieren gelernt, also bin ich als kleine Schwester daneben gesessen. So habe ich auch programmieren gelernt und mir dann später einen Computer angeschafft. Ab 1999 gab es die Website »Neopets«, als eine Art Social Media-Plattform, bevor es Social Media gab. Jeder hatte dort als Avatar ein kleines Tier, das man gegen andere kämpfen lassen konnte. Also habe ich auf dieser Plattform für mein virtuelles Tier eine eigene Website gebaut, denn dort konnte man das HTML und das CSS ändern. Ich denke viele Leute, die jetzt im Development- und Web-Umfeld tätig sind haben damals so angefangen. Das war auch dezidiert eine Seite, wo sich ganz viele Mädchen getummelt haben. Dennoch wurde mir zu Hause ausgeredet Programmieren zu lernen und ich war stattdessen in einer katholischen Mädchenprivatschule.

SHE: Was fasziniert euch daran am meisten?

EL: Ich finde es ist Zauberei. Für mich hat etwas sehr Magisches, aus dem Nichts Dinge zu erschaffen. Ich bin leidenschaftliche Bastlerin und nähe zum Beispiel auch mein eigenes Gewand. Ob ich einen Rock nähe, oder ein Programm schreibe, ist für mich exakt das Gleiche. Es erfüllt mein Bedürfnis kreativ zu sein, es ist abwechslungsreich und ich sitze auch nicht den ganzen Tag vor dem Computer. Für mich ist es ein kreativer, digitaler Handwerksjob.

BO: Für mich ist es so, als ob ich dafür bezahlt werde, den ganzen Tag Puzzels zu lösen. Man bekommt eine Problemstellung, oder Du muss etwas erweitern und dann überlegen, wie das am besten, am schnellesten, am effizientesten, am sichersten oder am hübschesten geht, denn es ist keine exakte Wissenschaft. Es gibt beim Programmieren viele Wege ans Ziel wie bei einer Rätselrallye. Man baut zuerst ein Gedankengerüst, das dann in einen Code überfließt. Und das Schöne ist, dass man die Ergebnisse auch herzeigen kann.

SHE: Wie kam es zu der Entscheidung, sich mit der gemeinnützigen Initiative “Women and Code” gezielt an Frauen zu wenden?

BO: Eva und ich haben zuvor schon bei anderen Initiativen mitgewirkt, Meetups organisiert, an Hackathons teilgenommen und bei Konferenzen gesprochen. Das große Problem ist aber nach wie vor, dass Eva und ich oft in unseren IT-Abteilungen sehr alleine sind. Wir wünschen uns einfach mehr weibliche Kolleginnen und gehen daher mit unserer Initiative total eigennützig vor. Außerdem ist die Dynamik beim Unterricht in reinen Frauengruppen eine ganz andere.

EL: Die Frauen sind viel offener und stellen viel mehr Fragen, setzen sich ganz offen mit ihren Laptops hin und sagen “das habe ich gemacht”. Wenn man eine gemischte Gruppe unterrichtet kommen die Frauen in der Pause und stellen ihre Fragen. Wenn man eine reine Frauengruppe unterrichtet, stellen sie die Fragen im Unterricht. Dadurch, dass wir das nun schon so oft gemacht haben, können wir definitiv erkennen, dass sich Frauen mehr trauen, viel offener sind und viel stolzer zeigen, was sie gemacht haben, wenn sie unter sich sind.

SHE: Denkt ihr, dass dieser Need in Österreich nicht entsprechend adressiert wird? Ob von Bildungseinrichtungen oder institutionell?

BO: Wir bewegen uns hier definitiv in einer Nische und sehen uns als Initiative und Bewegung, aber nicht als Schule in dem Sinn. Eine Programmierschule nur für Frauen gibt es nicht in Österreich. Es gibt aber heute schon viel mehr Frauen, die Informatik studieren. Zu meiner Zeit waren es acht Prozent und mittlerweile gibt es zum Beispiel im Studium zur medizinischen Informatik schon einen Frauenanteil von 45 Prozent, und auch Medieninformatik ist gut mit Frauen besetzt. Deshalb würde ich sagen im klassischen Bereich, also an Universitäten usw., ist es für Frauen viel angenehmer geworden.

EL: Ich denke nicht, dass es viele »Women only«-Angebote in Österreich gibt. Wir merken auch, dass gezielt danach gesucht wird und der Bedarf da ist, aber das Angebot gibt es nicht wirklich. Viele Frauen, die zu uns kommen arbeiten mit Developern zusammen und wollen das Vokabular lernen, damit sie besser mit ihnen reden und ihnen das Leben leichter machen können. Das ist irgendwie typisch weiblich oder? Aber viele kommen, weil sie mit ihren Developern besser zusammenarbeiten möchten und bleiben dann, weil es ihnen Spaß macht. Und weil sie herausfinden, dass Programmieren keine Magie, sondern ein Handwerk ist. Wir sind auch so ein bisschen das Sprungbrett in die Szene, wo man sich das einmal unverbindlich anschauen kann. Das coole ist, dass wir auch schon Teilnehmerinnen in Jobs vermittelt haben!

SHE: Sollte der IT-Unterricht generell reformiert werden?

BO: Ich sage sowieso, dass es Informatik-Unterricht ab der ersten Klasse Volksschule geben sollte. Aber nicht so, dass man das Programmieren lernen muss, bevor man richtig schreiben kann, sondern mit der Zielsetzung der Vermittlung eines verantwortungsvollen Umgangs mit der Technik und dem Internet.

EL: Ich finde man sollte da differenzieren zwischen: Das Benutzen von Technik gehört unterrichtet, der Umgang mit dem Internet und mit dem Gerät gehört unterrichtet aber genauso auch was ist das, was macht man damit und was kann bzw. darf man machen? Auch rund um sensible Daten und Rechte an Fotos und Videos.

SHE: IT gilt immer noch als eine typische Männerdomäne. Habt ihr schon das Gefühl gehabt, mehr leisten zu müssen, als männliche Kollegen?

EL: Ich habe eher die Erfahrung gemacht, dass ich mehr zu tun kriege, weil man mir es eher zutraut. Gerade jetzt in meinem Job habe ich sehr schnell eine Führungsposition angeboten bekommen, weil ich mehr soziale Kompetenz habe, als meine männlichen Kollegen. Frauen werden oft relativ schnell in die Management-Positionen promotet weil sie fähig dazu sind und weil man es ihnen irgendwie mehr zutraut. Doch obwohl Frauen manchmal mehr zugemutet wird als Männern, bedeutet das leider nicht immer auch mehr Geld.

BO: Ich hab letztens eine Studie gelesen, dass Männer nach dem Potenzial befördert werden und Frauen sich das eher erarbeiten müssen. Mir ist es oft passiert, dass ich in ein Entwickler-Team gekommen bin, wo ich die einzige Frau war. Da sind alle erstmal sehr neugierig, aber man muss sich schon beweisen. Oft bekommt man Vorschusslorbeeren nach dem Motto, „das ist eine Frau, die programmieren kann, also ist sie sicher voll gut”. Dadurch dass es so wenige Frauen in der Programmierer-Szene gibt, macht man sich auch recht schnell einen Namen. Vor allem wenn man so laut ist wie Eva und ich. (lacht)

SHE: Wie geht es weiter mit Women & Code?

EL: Wir haben das Pensum an Meetups im letzten Semester vervierfacht und trotzdem rennen uns die Frauen die Bude ein. Also werden das Organisationsteam erweitern, denn wir wollen das machen, weil wir es macht und es soll nicht belastend werden. Deshalb werden wir schauen, dass wir den Druck von uns selbst wegnehmen und ein bisschen aufteilen. Wir sind dauernd dabei uns zu verbessern und wollen dabei weiter sichtbar und laut sein.

BO: Es ist so lange nicht diskriminierend Programmierkurse nur für Frauen anzubieten, solange wir keine Gleichberechtigung haben und gleich bezahlt werden. Erst ab dem Zeitpunkt wo wir Chancengleichheit haben, hören wir auf. Wir arbeiten also daran, dass wir überflüssig werden. (lacht)

Header © Karin Lachmann